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Gerechtigkeit

 

B. Gerechtigkeit in der Moderne

Moral ist zwar immer noch notwendig, hat aber nicht den Stellenwert wie in der Antike. Sie tritt vor allem auf zur Absicherung der rechtlichen Beziehungen der Tauschpartner untereinander. Sie ist, um mit Hegel zu sprechen, nur ein Moment der Sittlichkeit, d. h. bei ihm der Familie, des Rechts, der Gesellschaft und des Staates, aber sie ist nur ein verschwindendes Moment, das von den anderen Momenten der Sittlichkeit dominiert wird und im Konfliktfall sich als autonome Moral zu beugen hat, also auf die Autonomie des Individuums verzichten muss. Die Gesellschaft also, welche die Hoffnung auf die Autonomie der Individuen allererst hervorgebracht hat, zerstört diese systematisch durch die in ihr wirkenden Mechanismen. (Vgl. zu dieser Hegelkritik: Gaßmann: Grundlagen, S. 400 – 402)

Zur Begründung der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates

Bereits in der Frühzeit der bürgerlichen Gesellschaft wurde erkannt, dass der Markt ohne gesetzliche Regelungen nicht seine Aufgabe, Bedürfnisse, Waren, Geld und Kapital zu vermitteln, erfüllen kann. Thomas Hobbes (1588 - 1679), der den englischen Bürgerkrieg und die Anarchie der damaligen Verhältnisse erlebt hat, schildert in drastischen Worten, welche Folgen eine allgemeine Rechtlosigkeit für die Gesellschaft, die er mit dem Naturzustand gleichsetzt, hat.
 „Deshalb trifft alles, was Kriegszeiten mit sich bringen, in denen jeder eines jeden Feind ist, auch für die Zeit zu, während der die Menschen keine andere Sicherheit als diejenige haben, die ihnen ihre eigene Stärke und Erfindungskraft bieten. In einer solchen Lage ist für Fleiß kein Raum, da man sich seiner Früchte nicht sicher sein kann; und folglich gibt es keinen Ackerbau, keine Schiffahrt, keine Waren, die auf dem Seeweg eingeführt werden können, keine bequemen Gebäude, keine Geräte, um Dinge, deren Fortbewegung viel Kraft erfordert, hin- und herzubewegen, keine Kenntnis von der Erdoberfläche, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine Literatur, keine gesellschaftlichen Beziehungen, und es herrscht, was das Schlimmste, beständig Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes – das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz.“ (Hobbes: Leviathan, S. 96)
Aus dieser Erfahrung formuliert Hobbes seinen berühmten Satz, dass ohne Recht und eine Regierung, die es durchsetzt, der Mensch im Naturzustand lebt, der ein Krieg aller gegen alle ist. Sein aus seiner Zeit abstrahierter Begriff vom Menschen hat er auf den Punkt gebracht:
Der Mensch ist des Menschen Wolf. (homo homini lupus) (Hobbes: Leviathan, S. XXII)
Die Konsequenz, die Hobbes aus diesem Krieg aller gegen alle zieht, kann aber nicht eine Moral sein, denn die bürgerliche Gesellschaft besteht nicht aus autarken Bürgern, deren Zusammenschluss durch Recht und Moral gesichert werden soll, sondern aus Konkurrenten auf dem Markt. Hobbes geht von der Gleichheit der Menschen aus, die auch nicht prinzipiell durch individuell bessere Fähigkeiten auf einigen Gebieten in Frage steht.
„Aus dieser Gleichheit der Fähigkeiten entsteht eine Gleichheit der Hoffnung, unsere Absichten erreichen zu können. Und wenn daher zwei Menschen nach demselben Gegenstand streben, den sie jedoch nicht zusammen genießen können, so werden sie Feinde und sind in Verfolgung ihrer Absicht, die grundsätzlich Selbsterhaltung und bisweilen nur Genuß ist, bestrebt, sich gegenseitig zu vernichten und zu unterwerfen.“ (A. a. O., S. 94 f.)
In der bürgerlichen Ideologie bis heute erscheint die auf der Gleichheit der Individuen beruhende Freiheit auf dem Markt als Freiheit schlechthin. Dazu hatte schon Marx angemerkt:
„Daher (…) die Abgeschmacktheit, die freie Konkurrenz als letzte Entwicklung der menschlichen Freiheit zu betrachten (…) Es ist eben nur die freie Entwicklung auf einer bornierten Grundlage – der Grundlage der Herrschaft des Kapitals. Diese Art individueller Freiheit ist daher zugleich die völligste Aufhebung aller individuellen Freiheit und die völlige Unterjochung der Individualität unter gesellschaftliche Bedingungen, die die Form von sachlichen Mächten, ja von übermächtigen Sachen – von den sich beziehenden Individuen selbst unabhängiger Sachen annehmen.“ (MEW 41, S. 551 (Grundrisse))
„Nicht die Individuen sind frei gesetzt in der freien Konkurrenz; sondern das Kapital ist frei gesetzt.“ (A. a. O., S. 550)
Doch selbst diese bornierte Freiheit, auf dem Markt seine Chance zu nutzen, ist nach Hobbes nur dann gewährleistet, wenn ein über den Konkurrenten stehender Staat die Marktteilnehmer auf die Einhaltung der Gesetze und des Marktfriedens einschränken kann. Für Hobbes kann dies nur ein absoluter Monarch sein, der im Bild des biblischen Untiers als „Leviathan“ erscheint und übermächtig ist. Der absolute Monarch ist dann ein „sterblicher“ Gott.
„Es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam, als hätte jeder zu jedem gesagt: Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, daß du ihnen ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst. Ist dies geschehen, so nennt man diese zu einer Person vereinigte Menge Staat, auf lateinisch civitas. Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken. Denn durch diese ihm von jedem einzelnen im Staate verliehene Autorität steht ihm so viel Macht und Stärke zur Verfügung, die auf ihn übertragen worden sind, daß er durch den dadurch erzeugten Schrecken in die Lage versetzt wird, den Willen aller auf den innerstaatlichen Frieden und auf gegenseitige Hilfe gegen auswärtige Feinde hinzulenken.“ (Hobbes: Leviathan, S. 134)
Dies muss ein absoluter Monarch sein, denn in der Demokratie oder der Aristokratie herrscht eine natürliche Unbeständigkeit. Für einen absoluten Monarchen dagegen gilt: „Ein Monarch kann nicht aus Neid oder Selbstinteresse mit sich selbst uneins sein, wohl aber eine Versammlung, und zwar so heftig, daß daraus ein Bürgerkrieg entstehen kann.“ (A. a. O., S. 147) Dagegen „fällt in der Monarchie das Privatinteresse mit dem öffentlichen zusammen.“ (Ebda.) Denn der Monarch hat ein Interesse am Wohlstand seines Landes, da er dadurch mehr Steuern für sich und seinen Staat einnehmen kann.
Der absolute Monarch bestimmt dann auch die Moral, die zur Absicherung der Rechtsverhältnisse notwendig ist.
„Es gibt auch keine allgemeine Regel für Gut und Böse, die aus dem Wesen der Objekte selbst entnommen werden kann. Sie entstammt vielmehr dort, wo es keinen Staat gibt, der Person des Menschen, oder im Staat der Person, die ihn vertritt, oder aber einem Schiedsrichter oder Richter, den uneinige Menschen durch Übereinstimmung einsetzen und dessen Urteil sie zur Richtschnur machen.“ (Hobbes: Leviathan, S. 41)
Diese auf dem Nominalismus basierende Auffassung von Gut und Böse bestimmt bis zu Kant und Hegel die bürgerliche Philosophie, bei letzteren beiden zumindest  als Ausgangspunkt für metaphysische (transzendentale) Moralbestimmungen.
Doch um seine Funktion zu erfüllen, müsste der absolute Monarch gerecht gegenüber den Konkurrenten auf dem Markt sein, ihre Gleichheit und Freiheit achten, solange sie gesetzestreu sind. Da der Monarch aber nicht von der Konkurrenz ausgenommen werden kann, hat er immer auch Sonderinteressen. Nach Hobbes kann er sogar gegen seine eigenen Gesetze verstoßen, ein Widerstandrecht wird gegen ihn nur als große Ausnahme zugestanden. Das hat John Locke veranlasst zu fragen: Wer kontrolliert den absoluten Monarchen, wenn dieser absolut, also bedingungslos, regiert? Denn absolute Macht korrumpiert. (Vgl. Locke: Zwei Abhandlungen, S. 257 f.) „Despotische Gewalt ist eine absolute, willkürliche Gewalt, die ein Mensch über einen anderen hat, sein Leben zu nehmen, wann immer es ihm gefällt. Dies ist eine Gewalt, die einem weder die Natur gibt, weil sie keinen solchen Unterschied zwischen dem einen Menschen und dem anderen gemacht hat, und die man auch durch keinen Vertrag erhalten kann, weil der Mensch keine solche willkürliche Gewalt über sein eigenes Leben hat, daß er eine solche Gewalt einem anderen verleihen könnte.“ (A. a. O., S. 309)
Für  John Locke kann es deshalb nur die periodische Wahl der Legislative geben, der auch der König, oder wer immer die Exekutive stellt, untersteht. Legislative und Exekutive kontrollieren sich wechselseitig. Die Legislative ist Ausdruck der Volkssouveränität der prinzipiell gleichen und freien Staatsbürger. Doch wahlberechtigt können nach Locke nicht alle sein. Hier wiederholt sich der aristotelische Widerspruch zwischen der allgemeinen Bestimmung des Menschen und seiner gesellschaftlichen Funktion, wenn er nicht zu den Vermögenden zählt. Da der Zweck der politischen Gesellschaft und mit ihr der Legislative die Erhaltung und der Genuss des Eigentums ist (a. a. O., S. 283), hätten auch das stärkste Interesse an der Erhaltung dieser durch einen Gesellschaftsvertrag (Verfassung) garantierten bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates die Eigentümer von Land und anderen Produktionsmitteln. Sie verkörperten am besten die bürgerliche Vernunft, die sie ja durch die Erlangung ihres Eigentums unter Beweis gestellt hätten. Vor allem aber seien es die Eigentümer, die am meisten Steuern zahlen und daher am meisten für die Öffentlichkeit leisten würden (a. a. O., S. 300). Da Lohnarbeiter kein Eigentum haben – außer das an ihrer Person -, sind sie nach Locke nicht befähigt, an der Wahl zur Legislative teilzunehmen. „Nur der Eigentümer ist Vollbürger.“ (Euchner: Einleitung, S. 38) Die Widersprüche in Lockes politischer Theorie beruhen nach Macpherson auf der Widersprüchlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft: „Sie widerspiegeln ziemlich genau die Ambivalenz einer aufsteigenden bürgerlichen Gesellschaft, die formale Gleichheit forderte, zugleich aber ohne materielle Ungleichheit nicht auskam.“ (Zitiert nach Euchner, a.a.O., S. 49)
Im Laufe der Geschichte konnten die Lohnabhängigen auch ihre politische Gleichheit erkämpfen. Die Verfassungsprinzipien, die sich im Lauf der Jahrhunderte des bürgerlichen Zeitalters herausgebildet haben und die zum Teil schon auf John Locke zurückgehen, sind gegenseitige Kontrolle von Exekutive, Legislative und Judikative, Recht auf Opposition, Minderheitenschutz, Menschenrechte und ein gleiches, allgemeines und geheimes Wahlrecht. Allerdings wurden die Lohnabhängigen nur deshalb auch zur politischen Mitbestimmung zugelassen, weil die Bourgeoisie gelernt hatte, sie in den bürgerlichen Staat zu integrieren. Otto Bauer hat diese Tatsache auf den Begriff gebracht:
„Die Demokratie entsteht als Resultat der Klassenkämpfe in der kapitalistischen Gesellschaft. Sie entsteht auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. In der Gesellschaft bleibt der Kapitalismus, bleibt das Privateigentum der Kapitalisten an den konzentrierten Produktionsmitteln, bleibt daher die Herrschaft der Kapitalisten über die Arbeiter erhalten. Im Staat dagegen wird das Zensuswahlrecht, die Garantie der politischen Herrschaft der Kapitalisten, aufgehoben, Arbeiter, Bauern und Kleinbürger werden zu gleichberechtigten Staatsbürgern und beherrschen durch die Zahl ihrer Stimmen den Staat. ‚Der umfassende Widerspruch dieser Konstitution‘, sagt Marx, ‚besteht darin: Die Klassen, deren gesellschaftliche Sklaverei sie verewigen soll – Proletariat, Bauern, Kleinbürger -, setzen sie durch das allgemein Stimmrecht in den Besitz der politischen Macht. Und der Klasse, deren alte gesellschaftliche Macht sie sanktioniert, der Bourgeoisie, entzieht sie die politischen Garantien dieser Macht. Sie zwingt ihre politische Herrschaft in demokratische Bedingungen, die jeden Augenblick den feindlichen Klassen zum Sieg verhelfen und die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft selbst in Frage stellen.‘ Aber dieser Widerspruch, aufklaffend in Zeiten schwerer gesellschaftlicher Erschütterungen, ist im Alltag der aufsteigenden kapitalitischen Entwicklung bald und unschwer überwunden worden. Die Kapitalistenklasse hat es verstanden, auch die Institutionen der Volksherrschaft in Mittel ihrer Klassenherrschaft zu verwandeln.“ (Otto Bauer, zitiert nach Confora: kurze Geschichte, S. 169 f.)
Den tieferen Grund für diese Integration der Arbeiterklasse in die bürgerliche Gesellschaft und deren Staat  hat Marx im „Kapital“ angedeutet:
„Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit, die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Überbevölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und Nachfrage nach Arbeit, und daher den Arbeitslohn, in einem den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den ‚Naturgesetzen der Produktion‘ überlassen bleiben, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital.“ (Marx: Kapital I, S. 765)

Was kann nun unter den bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen Gerechtigkeit heißen?

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Zum Begriff der Gerechtigkeit bei Kant

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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